Gedichte: Frauen

 

D-Zug (G. Benn)

Friedrichstraßendirnen (P. Boldt)

Amor und Mors (P. Boldt)

Große Stadt (E. Blass)

E. L. Kirchner: Friedrichstrasse 1914 

 

An eine Jüdin in Schwarz (M. Herrmann-Neisse)

Untergrundbahn (G. Benn)

Saal der kreißenden Frauen (G. Benn)

Morgens (J. v. Hoddis)

 

 

  

 

 

 

 

D-Zug

Braun wie Kognak. Braun wie Laub. Rotbraun. Malaiengelb.

D-Zug Berlin-Trelleborg und die Ostseebäder.-

 

Fleisch, das nackt ging.

Bis in den Mund gebräunt von Meer.

Reif gesenkt. Zu griechischem Glück.

In Sichel-Sehnsucht: wie weit der Sommer ist!

Vorletzter Tag des neunten Monats schon!-

 

Stoppel und letzte Mandel lechzt in uns.

Entfaltungen, das Blut, die Müdigkeiten,

Die Georgiennähe macht uns wirr.-

 

Männerbraun stürzt sich auf Frauenbraun:

 

Eine Frau ist etwas für eine Nacht.

Und wenn es schön war, noch für die nächste!

Oh! Und dann wieder dies Bei-sich -selbst-sein!

Diese Stummheiten! Dies Getriebenwerden!

Eine Frau ist etwas mit Geruch.

Unsägliches! Stirb hin! Resede.

Darin ist Süden, Hirt und Meer.

An jedem Abhang lehnt ein Glück.-

 

Frauenhellbraun taumelt an Männerdunkelbraun:

 

Halte mich! Du, ich falle!

Ich bin im Nacken so müde.

O dieser fiebernde süße

letzte Geruch aus den Gärten.-

(Gottfried Benn, 1912)

 

 

 

 

 

 

Friedrichstraßendirnen

Sie liegen immer in den Nebengassen,

Wie Fischerschuten gleich und gleich getakelt,

Vom Blick befühlt und kennerisch bemakelt,

Indess sie sich wie Schwäne schwimmen lassen.

 

Im Strom der Menge, auf des Fisches Route.

Ein Glatzkopf äugt, ein Rotaug' spürt Tortour,

Da schießt ein Grünling vor, hängt an der Schnur

Und schnellt an Deck einer bemalten Schute,

 

Gespannt von Wollust wie ein Projektil!

Die reißen sie aus ihm wie Eingeweide,

Gleich groben Küchenfrauen ohne viel

 

Von Sentiment. Dann rüsten sie schon wieder

Den neuen Fang. Sie schnallen sich in Seide

Und steigen ernst mit ihrem Lächeln nieder.

(Paul Boldt, 1913)

 

 

 

 

 

 

Amor und Mors

Die Liebenden am Abend in Berlin!

Wir liebten junge Mädchen nach Gewicht!

Elf Dutzend Pfund! Sie radebrechten: „Nicht“,

Umarmten uns und stießen mit den Knien!

 

Unser Geschlecht berauscht die Jungfraun! Schrien

Nicht alle gleich? - Ach, dieser Lärmkehricht

Deflorationen ist erinnerungsschlicht

Verschollen wie Quartaneronanien. -

 

Wir mästen unser Lachen. In den Städten,

Des Todes sehr rentablen Fleischereien,

Arbeiten Dirnen, Ärzte; die entgräten

 

Die Luesleichen für den Schlund des Grabes,

Tod, stellst du keinen Liebesdichter ein?

Wir machen Propaganda für die Tabes.

(Paul Boldt, 1913)

 

 

 

 

 

 

Große Stadt

Die bunten Lichter sind schon angesteckt.

War dieser Tag denn grau und voll von Qualen?

Es stehen Mädchen an den Hausportalen.

Vom Hute ist ihr Angesicht bedeckt.

 

Und ein des Tages grausames Gebäude

Schwimmt auf mich zu als sei's ein großer Schwan.

In süßem Sonnenaufgang regt sich Freude.

Durch Schleier ziehn Gefährte ihre Bahn.

 

Im dunklen Samt des hohen Himmels schimmern

Die Abendsterne, die man nicht erlangt.

Durch Schmutz der Straße und durch farbig

Flimmern

Nahn Wunderdirnen, schneeig und erkrankt.

 

Seht Menschen, die sich sachlich schwarz bewegen!

Die Läden glühn in fleiß'ger Frömmigkeit.

Die Stadt ist mir oft wertvoll grad deswegen,

Weil sie im Grund unfestlich, ungeweiht.

 

Wenn Influenza um die Ecken braut,

Werfen Etagen sich im Nebelfieber.

Dann wieder hochpoetisch hingebaut

Stehn Häuser, und Vergangnes klingt herüber.

 

Wo aber einst dein Mund sich meinem beugte

Von Herzlichkeit dann spechend unentwegt -

Die ganze Gegend dieser Stadt ist heute

Für mich sehr heftig pathogen belegt.

(Ernst Blass, 1913)

 

 

 

 

 

 

An eine Jüdin in Schwarz

Daß ich dich gefangen hielte,

Deiner Seele

Blutenden Wind,

Daß ich mit dir spielte,

Wie mit einem Kind!

Daß deine Kehle

Das Mahl meiner Zähne trüge!

 

Du braune Lüge!

 

Wie eine Katze

Streichst du durch Sommerabendzeit

Unter Linden - - - -

 

Meine Glut schürt nach dem Schatze,

Fühlst du nicht, wie sie giergrabend schreit:

„Ich will finden!“

 

Du braune Seligkeit!

 

In der Frühe nahm ich ein Bad - - -

Deine Strümpfe sind ja durchbrochen -

Über meinen Pfad

Sind Schnecken gebrochen.

Schwarzes Kleid, weißes Linnen, braune Haut

Und die rote Wunde - - -

 

Wird mir so vor ihnen grauen - - -

 

O lasse

Sie über meinem herben

Abend ein helles Dach erbauen!

Du Frucht der Frauen!

 

Du braune Frau Zebadoth!

(Max Herrmann-Neisse, 1911)

 

 

 

 

 

 

Untergrundbahn

Die weichen Schauer. Blütenfrühe. Wie

aus warmen Fellen kommt es aus den Wäldern.

Ein Rot schwärmt auf. Das große Blut steigt an.

 

Durch all den Frühling kommt die fremde Frau.

Der Strumpf am Spann ist da. Doch, wo er endet,

ist weit von mir. Ich schluchze auf der Schwelle:

laues Geblühe, fremde Feuchtigkeiten.

 

Oh, wie ihr Mund die laue Luft verpraßt!

Du Rosenhirn, Meer-Blut, du Götter-Zwielicht,

du Erdenbeet, wie strömen deine Hüften

so kühl den Gang hervor, in dem du gehst!

 

Dunkel: nun lebt es unter ihren Kleidern:

nur weißes Tier, gelöst und stummer Duft.

 

Ein armer Hirnhund, schwer mit Gott behangen.

Ich bin der Stirn so satt. Oh, ein Gerüste

von Blütenkolben löste sanft sie ab

und schwölle mit und schauerte und triefte.

 

So losgelöst. So müde. Ich will wandern.

Blutlos die Wege. Lieder aus den Gärten.

Schatten und Sinnflut. Fernes Glück: ein Sterben

hin in des Meeres erlösend tiefes Blau.

(Gottfried Benn, 1913)

 

 

 

 

 

 

Saal der kreißenden Frauen

Die ärmsten Frauen von Berlin

- dreizehn Kinder in anderthalb Zimmern,

Huren, Gefangene, Ausgestoßene-

krümmen hier ihren Leib und wimmern.

 

Es wird nirgends so viel geschrien.

Es wird nirgends Schmerzen und Leid

so ganz und gar nicht wie hier beachtet,

weil hier eben immer was schreit.

 

„Pressen Sie, Frau! Verstehn Sie, ja?

Sie sind nicht zum Vergnügen da.

Ziehn Sie die Sache nicht in die Länge.

Kommt auch Kot bei dem Gedränge!

Sie sind nicht da, um auszuruhn.

Es kommt nicht selbst. Sie müssen was tun!“

Schließlich kommt es: bläulich und klein.

Urin und Stuhlgang salben es ein.

 

Aus elf Betten mit Tränen und Blut

grüßt es ein Wimmern als Salut.

Nur aus zwei Augen bricht ein Chor

von Jubilaten zum Himmel empor.

 

Durch dieses kleine fleischerne Stück

wird alles gehen: Jammer und Glück.

Und stirbt es dereinst in Röcheln und Qual,

liegen zwölf andere in diesem Saal.

(Gottfried Benn, 1912)

 

 

 

 

 

Morgens

Ein starker Wind sprang empor.

Öffnet des eisernen Himmels blutende Tore.

Schlägt an die Türme.

Hellklingend laut geschmeidig über die eherne Ebene der Stadt.

Die Morgensonne rußig. Auf Dämmen donnern Züge.

Durch Wolken pflügen goldne Engelflüge.

Starker Wind über der bleichen Stadt.

Dampfer und Kräne erwachen am schmutzig fließenden Strom.

Verdrossen klopfen die Glocken am verwitterten Dom.

Viele Weiber siehst du und Mädchen zur Arbeit gehn.

Im bleichen Licht. Wild von der Nacht. Ihre Röcke wehn.

Glieder zur Liebe geschaffen.

Hin zur Maschine und mürrischem Mühn.

Sieh in das zärtliche Licht.

In der Bäume zärtliches Grün.

Horch! Die Spatzen schrein.

Und draußen auf wilderen Feldern

Singen Lerchen.

(Jakob van Hoddis, 1907/09)